Bayern will Gesetz gegen Lehrer verschärfen
Ein Lehrer hat Sex mit einer 14-jährigen Schülerin, kommt vor Gericht – und wird freigesprochen. Nun will Bayerns Justizministerin Merk das Strafrecht ändern.
Er war 32 Jahre alt, sie gerade 14. Auf einer Klassenfahrt nach Hamburg kamen sich Lehrer und Schülerin aus dem Landkreis Neuwied in Rheinland-Pfalz näher. Sie unterhielten sich über Gott und die Welt. Danach schrieb er ihr SMS und chattete.
Anna war 14 Jahre alt, als ihr Lehrer mit ihr eine Affäre begann. Heute fühlt sie sich ausgenutzt und missbraucht.
Das Mädchen fühlte sich ernst genommen, erwachsen, glaubte an die große Liebe. Der Lehrer, der bei den Schülern als cooler Typ galt, ging strategisch vor: „Honey“ und „Honigbär“ schmeichelte er und wurde langsam zudringlicher.
„Es lief immer auf Sex hinaus“, sagte das Mädchen. Es kommt schließlich auch soweit, beim Lehrer zuhause und im Putzraum der Schule. Fünf Monate treffen sich die beiden.
Freispruch für den Lehrer
Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen war das – könnte man meinen. Fünf Jahre später aber, im Dezember 2011, wird der Lehrer vom Oberlandesgericht in Koblenz freigesprochen (Az. 1 Ss 213/11).
Das Opfer und die Eltern sind fassungslos, die öffentliche Aufregung groß. Weil der Lehrer in diesem Fall nur aushilfsweise tätig war, habe kein reguläres Obhutsverhältnis bestanden, lautet verkürzt die Begründung des Gerichts.
Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) will verhindern, dass es zukünftig wieder derartige skandalöse Urteile gibt. Der Unionsfraktion im Bundestag hat sie einen Vorschlag unterbreitet, wie eine Gesetzeslücke beim Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (Paragraf 174 des Strafgesetzbuches) geschlossen werden kann.
Keine Schlupflöcher mehr
„Es ist unerträglich, dass der Schutz von Schülerinnen und Schülern vor sexuellen Übergriffen davon abhängt, ob es sich um einen Vertretungslehrer handelt oder nicht. Mit unserem Entwurf sorgen wir dafür, dass der strafrechtliche Schutz unserer Schülerinnen und Schüler keine Lücken aufweist“, sagte die CSU-Politikerin der „Welt“.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts und die Diskussionen veranschaulichten, „wie wenig die Gesetzeslage dem Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit entspricht“.
Es sei weder Eltern noch Schülern vermittelbar, dass Jugendliche zwar verpflichtet seien, eine Schule zu besuchen, für sie dort aber nur eingeschränkter rechtlicher Schutz gegenüber eventuellen sexuellen Übergriffen von Lehrern bestehe.
Kleine Änderung, große Wirkung
Eine geringfügige Modifikation der geltenden Normen würde ausreichen, um Kinder und Jugendliche vor Übergriffen besser zu schützen. Die Ministerin schlägt eine Ergänzung im ersten Absatz des Paragrafen vor.
So wird zwar wie bisher ein Betreuungsverhältnis (Erziehung, Ausbildung oder Betreuung) vorausgesetzt. Die vorgeschlagene Ergänzung wird aber zusätzlich Täter erfassen, die den Jugendlichen nicht selbst erziehen, ausbilden oder betreuen, sondern auch die die Weisungsbefugnisse besitzen und eine so begründete Abhängigkeit ausnützen können.
Dies fehlte bisher im Gesetzestext. In dem speziellen Fall in Rheinland-Pfalz sprach das Gericht den angeklagten Lehrer frei, weil es kein reguläres Obhutsverhältnis zwischen ihm und der 14-Jährigen gab. Der Lehrer für katholische Religion, Mathematik, Englisch war weder Klassen- noch Fachlehrer noch war er an der Notengebung beteiligt. Er sei nur dreimal als Vertretung eingesprungen.
Auch ältere Schwester war Opfer des Lehrers
Obwohl das Amtsgericht Neuwied zuvor den Pädagogen zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt hatte und das Landgericht Koblenz diesen Richterspruch bestätigte, hob das Oberlandesgericht die Urteile auf.
Dabei war im Laufe der Verhandlungen bekannt geworden, dass die 14-jährige Schülerin nicht das erste Opfer war. Der Lehrer soll schon ein Jahr zuvor ähnliche SMS an die große Schwester der Schülerin geschickt haben.
Die Richter des Oberlandesgerichts erkannten offenbar die Schwächen des Gesetzes (oder ihres Urteils). Sie gaben den Schwarzen Peter aber an den Gesetzgeber weiter. Das Urteil sollte zum Anlass genommen werden, wie der Schutz in derartigen Konstellationen verbessert werden könne.
Keine Unterscheidung
Bayerns Justizministerin Merk will mit ihrem Vorschlag sicherstellen, dass Lehrer, die sich an einem Schüler oder einer Schülerin ihrer Schule vergehen, bestraft werden können, unabhängig davon, ob sie diesen Schüler konkret unterrichten oder nicht. Es könne nicht sein, dass ein persönliches Betreuungsverhältnis zwischen Lehrer und Schüler bestehen muss, damit das Gesetz greift.
„Entscheidend dafür, dass sich jemand nach diesem Tatbestand strafbar macht, sollte nicht allein der Missbrauch erzieherischen Einflusses sein, sondern genauso das besondere Über- beziehungsweise Unterordnungsverhältnis, das beispielsweise auch zwischen einem Vertretungslehrer und dem Schüler besteht. Denn das besonders Verwerfliche am Missbrauch von Schutzbefohlenen ist doch, dass jemand eine Machtstellung missbraucht“, sagt Merk.
Aber auch der suspendierte Lehrer wollte den Fall nicht ruhen lassen. Er strengte Mitte Februar ein Verfahren gegen den Vater des Mädchens an, weil der ihn als Straftäter bezeichnet habe. Der Rechtsstreit wurde beigelegt – mit einer Begründung, die als Kritik am Oberlandesgericht gelesen werden kann.